Rosa Brillen bringen’s doch
Wer durch die sprichwörtliche rosa Brille blickt, sieht „rosige Zeiten“ auf sich zukommen und schafft eine positive Erwartungshaltung in Bezug auf die eigene Zukunft. Eine clevere Strategie, um sich selbst bei Laune zu halten! Unverbesserliche Optimisten müssen sich jedoch oft vorwerfen lassen, ihre Vorstellungen seien unrealistisch und damit letztlich kontraproduktiv. Nur… stimmt das wirklich?
Optimisten sind glücklicher
Die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot vertritt in ihrem Buch Das optimistische Gehirn die These, dass der sogenannte optimism bias d.h. der unrealistische Optimismus entscheidend zu unserem Glücklichsein beiträgt.
Warum? Weil unser Geist alle Hebel in Bewegung setzt, um Prognosen möglichst Realität werden zu lassen. Optimistische Annahmen machen uns deshalb automatisch körperlich und geistig fitter und sorgen dafür, dass wir eine grössere Motivation entwickeln, zu handeln und produktiv zu sein. Das erklärt wohl auch das Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ oder auch, warum positives Visualisieren durchaus Wirkung entfalten kann – unser Hirn macht keinen Unterschied zwischen echten und vorgestellten Bildern!
Die Tendenz, alles durch die rosa Brille zu sehen, begleitet Menschen ein Leben lang und ist unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, sozialem und wirtschaftlichem Status.
Rund 80% der Bevölkerung sind unrealistisch optimistisch veranlagt.
Jetzt sei doch mal realistisch!
Die grosse Mehrheit von uns neigt also quietschfidel dazu, die Wahrscheinlichkeit positiver Ereignisse in ihrem Leben zu überschätzen und ihr persönliches Risiko für negative Ereignisse für unterdurchschnittlich zu halten. Die Statistik widerlegt diese fromme Hoffnung, doch solange wir (noch) daran glauben, sind wir tatsächlich glücklicher.
Offenbar sind nur leicht depressiv Menschen in der Lage, die Zukunft realistisch einzuschätzen und die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Ihr „depressiver Realismus“ lässt die Betroffenen ziemlich exakte Zukunftsprognosen treffen. In einer Depression hingegen verlieren Menschen komplett den Zugang zu ihren positiven Gefühlen und Erwartungen und werden unfähig, sich eine Zukunft zu konstruieren, erklärt der US-amerikanische Existenzialpsychologe Rollo Mayes.
Wer sich selber beruhigen kann, hat mehr Erfolg
Früher oder später kriegen aber auch unverbesserliche Optimisten vom Leben eins auf den Deckel – und hier wird’s spannend. Denn während einige rasch wieder aufrappeln, stürzen andere in eine tiefe Krise, wenn etwas schief läuft…
Das hängt damit zusammen, dass positives Denken wenig hilft, wenn nicht die eigentlichen Ursachen ungünstiger Überzeugungen beseitigt werden: Wer einen Misserfolg gut wegstecken und weiterhin optimistisch in die Zukunft schauen kann, ist in der Lage, die für das Problemlösen und Handeln wichtigen Emotionen wiederherzustellen (positiver Affekt). Ist diese Fähigkeit wenig ausgeprägt, fällt es dem Betreffenden schwer, sich selbst zu beruhigen. Er verharrt dann in der negativen Stimmung, versperrt sich dadurch den Zugang zu seinen Ressourcen, gerät in ein Leistungsdefizit und zieht daraus den Schluss: Ich kann das nicht.
Pessimistische Überzeugungen sind somit meist die Folge (nicht die Ursache!) von Misserfolg. Herausgefunden hat dies Prof. Julius Kuhl, dessen Persönlichkeits-System-Interaktions (PSI)-Theorie deshalb so bahnbrechend ist, weil sie aufzeigt, wie wir über die Gefühlsregulation die Funktionsweise unseres Gehirns beeinflussen können. Denn sowohl die Aktivierung der vier psychischen Systeme als auch der Informationsaustausch zwischen ihnen ist von Stimmungen und Gefühlen d.h. von Affekten abhängig.
„Eine wirksame Selbststeuerung ermöglicht uns Selbstbestimmung und Autonomie.“
Prof. Julius Kuhl
Im Idealfall lernen Menschen möglichst schon in ihrer Kindheit mit ihren Gefühlen umzugehen. Der Vorteil? Wenn es uns gelingt, unsere Gefühle zu steuern, wir unsere Wut oder Angst beruhigen oder unsere Mutlosigkeit überwinden oder den Verlust positiver Gefühle aushalten können, dann haben wir auch jederzeit Zugriff auf dasjenige psychische System, das wir gerade brauchen.
(Mit Deinen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt treten kannst Du 2019 auch auf Fougerette – der nächste GfK-Kurs wird demnächst augeschrieben!)
Wissen schützt vor Optimismus nicht
Doch zurück zu den unverbesserlichen Optimisten. 1993 wurden in einem Versuch Jurastudentinnen und -studenten befragt, die demnächst heiraten wollten. Sie alle konnten die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Scheidung ziemlich genau einschätzen. Bezüglich der Erwartungen an ihre eigene Ehe waren sie hingegen sehr optimistisch – sowohl was die Wahrscheinlichkeit einer Trennung als auch die negativen Folgen einer Scheidung betraf.
Daraufhin liessen die Psychologin Lynn Baker und ihr Kollege Robert Emery sie einen Kurs in Familien- und Scheidungsrecht absolvieren und befragten sie erneut. Das Ergebnis?
Trotz erhöhtem Bewusstsein für die Folgen einer Trennung und obwohl sie nun über zuverlässige und detaillierte Informationen verfügten, hielten die Studierenden noch immer an ihrer idealistischen Annahme fest! Genau darum heiraten Menschen auch nach einer schmerzhaften Trennung erneut: Weil ihr unrealistischer Optimismus ihnen einflüstert, dass es diesmal besser, nun ja… eben anders sein wird.
Der Gipfel? Drei Tage Vorfreude!
Ein weiterer Grund, der für eine optimistische Lebenshaltung spricht: Manchmal ist es besser, etwas Gutes zu erwarten, als es tatsächlich zu erleben. Die meisten Menschen ziehen es sogar vor, auf etwas Schönes zu warten! Die optimale Balance zwischen Vorfreude und Impulsivität bietet offenbar eine 3-tägige Wartefrist : )
Wobei: (Ab-)warten ist nicht immer die richtige Antwort, denn wenn wir etwas Unangenehmes erwarten, dann wirkt sich auch auf unser Befinden aus…
Der Killer? 10 Jahre Furcht…

Elektroschock – jetzt gleich oder in 10 Jahren? Bild: Screenshot/pavlok.com (2014)
Wie viel wärst Du zu zahlen bereit, um einen 120-Volt-Elektroschock abzuwenden?
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Lieber früher als später
Das faszinierende Ergebnis der obigen Umfrage: Die Studierenden waren bereit, fast doppelt so viel dafür zu bezahlen, um den Elektroschock in zehn Jahren zu vermeiden! Gemäss klassischen Wirtschaftstheorien ist dieses Verhalten absolut irrational, weil der Schmerz durch einen 120-Volt-Elektroschock heute wie auch in zehn Jahren auf einer Skala von 1-100 gleichbleibend bei ungefahr 40 liegt.
Was dabei ausser acht gelassen wird, ist die emotionale und seelische Belastung, die durch zehn Jahre der Erwartung des Elektroschocks entsteht. Damit wird auch nachvollziehbar, warum die Studierenden instinktiv bereit waren, für die Vermeidung dieser Belastung mehr zu bezahlen als für nur drei Stunden „bibbern“: Ihr Verhalten ist durchaus rational.
Es spricht also einiges dafür, sich bei unangenehmen Ereignissen dafür zu entscheiden, sie möglichst schnell hinter sich zu bringen. Nur so lässt sich die Furcht vermeiden, die uns bei der Aussicht auf Schmerzen garantiert packen wird… ; )
Hier erfährst Du direkt von Tali Sharot mehr über den „optimism bias“ (English only):
Quellenangaben & weiterführende Links:
- Das optimistische Gehirn (2014), Tali Sharot, Berlin: Springer Spektrum, ISBN 978-3-642-41668-2
- Die Kunst der Selbstmotivierung (2012), Hans Uwe Mertens und Julius Kuhl, ISBN 978-3-170-23682-0
- Berns GS et al. (2006) „Neurobiological Substrates of Dread“, Science 312, Nr. 5774, 754-758
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[…] Damit wäre dann auch die Brücke zur deutschen „rosa Brille“ geschlagen (wie im Post über Optimismus, welches übrigens den Anstoss gab zur Beschäftigung mit dieser […]
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[…] für Jahr fragen wir uns an Silvester treuherzig und voller Optimismus: Was wohl das neue Jahr wohl bringen mag? Auch im Ohrwurm-Klassiker „Que sera, sera“ […]
Super positiver Artikel! Und damit Du jeden Tag einen positiven Schub hast:
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